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Die Schaffung eines politischen Spitzenjobs in Sachen Digitalisierung greift zu kurz. Da wäre es doch besser, die Macht gleich auf Maschinen zu übertragen – von künstlicher Intelligenz gesteuert.

Hört, hört! In Deutschland wird sich künftig eine Staatsministerin im Kanzleramt um das Thema Digitales kümmern. Damit kommt die neue Bundesregierung den immer lauter werdenden Forderungen nach – nicht nur des IT-Verbands Bitkom, sondern auch des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft, des Deutsche Startup-Verbands und der bayerischen Grünen. Bei soviel Konsens werden aufgeklärte Staatsbürger misstrauisch. Meinen die denn das Gleiche? Was versprechen sich so unterschiedliche Gruppen davon? Beim Blick auf die bisherigen Erfolgsmeldungen der Digitalbeauftragten, könnte man meinen, es ginge nur um den Ausbau der Breitbandverbindungen und das Recht auf schnelles Internet für alle. Natürlich macht es Sinn, dass der Ausbau einer Hochleistungsinfrastruktur eine hoheitliche Aufgabe darstellt, wenn die Privatwirtschaft sich mit den Investitionen schwer tut. Aber das kann doch nicht die digitale Revolution sein, von der alle sprechen und von der die deutsche Kanzlerin behauptete, es sei der tiefgreifendste gesellschaftliche Umbruch seit langem, wenn nicht gar überhaupt aller Zeiten.

50 Jahre alte Hüte…

Nun, offensichtlich schläft die Politik: Wir leben schon geraume Zeit mit und in einer digitalen Welt, und ich musste tatsächlich zunächst einmal laut auflachen, als mir das Thema Digitalisierung zum ersten Mal als große neue Innovationswelle vorgestellt wurde: Als ob wir in den letzten 50 Jahren nicht enorme Fortschritte in der elektronischen Datenverarbeitung gemacht hätten! Fakt ist doch, dass allein die verarbeitende Industrie in den vergangenen Jahrzehnten enorme Produktivitätsgewinne erzielen konnte, indem sie Standards zum elektronischen Datenaustausch wie etwa EDI nutzte. Die Systeme verarbeiten diese Daten seit langem über standardisierte Schnittstellen und integrieren sie nahtlos in die weiteren internen Abläufe. Verteilte Systeme werden über Web-Services in einer Maschine-Maschine-Kommunikation miteinander verbunden.

Ohne die bereits vorhandenen Standards wäre eine Just-in-time-Produktion undenkbar. Die Konsequenz sehen wir alle in den heutigen Fabrikationsstätten: weitgehend menschenleere Hallen und vollautomatisierte Prozesse. Jetzt aber beginnt die wirklich neue Revolution: Nach den Fabriken kommen nun die Büros an die Reihe. Um im Dienstleistungssektor international wettbewerbsfähig bleiben zu können, müssen die Kosten auch dort gesenkt werden. Durch die stärkere Integration der Kunden (Online-Erfassung) und die Automatisation (etwa bei der maschinellen Bearbeitung von Kreditanträgen) fallen immer mehr Arbeitsplätze weg. Entscheidungen werden auf der Basis von Algorithmen getroffen.

… und «spätrömische Dekadenz».

Diese Wegrationalisierung von Angestellten ist die eigentliche gesellschaftliche Revolution. Kümmert sich ein mögliches Digitalministerium dann auch gleich um die Opfer dieses Umbruchs? Oder wird das dann eher in die bewährten Hände des Ressorts für Arbeit und Soziales gelegt? Auf jeden Fall wird Hilfe gebraucht, denn viele Menschen schaffen den Sprung auf den digitalen Zug nicht. Mit den topausgebildeten Softwareentwicklern könnten ja vielleicht Computerspiele entwickelt werden, um die arbeitslosen Massen zu beschäftigen; ein garantiertes Mindesteinkommen sorgt dann dafür, dass die Geräte gekauft werden. Das alles erinnert mich an Brot und Spiele, an «spätrömische Dekadenz». Der von einem früheren deutschen Außenminister geprägte Begriff, der den Vollversorgerstaat anprangern sollte, wird weiterentwickelt, etwa durch den Philosophen Richard David Precht, der eine auf Effizienzgewinn ausgerichtete Gesellschaft bei gleichzeitiger Massenarbeitslosigkeit entstehen sieht. Das Schlagwort Digitalisierung birgt somit gesellschaftliche Sprengkraft. Und wer weiß, vielleicht rationalisiert sich eines Tages das neue Staatsministerium für Digitales im Rahmen einer Digitalisierung der Staatsministerin selbst.

Autor: Frank Hendricks, geschäftsführender Gesellschafter von HENDRICKS, ROST & CIE.

Quelle: BUSINESS INTELLIGENCE MAGAZINE, www.bi-magazine.net
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